Knowledge talks, wisdom listens.

Knowledge talks, wisdom listens.

Oliver Klemm
von Oliver Klemm


Was Habecks Rückzug über das Zuhören verrät

Robert Habeck verlässt den Bundestag. Seine Begründung macht uns neugierig: "Ich will nicht wie ein Gespenst über die Flure laufen." Ein Politiker, der freiwillig aus dem Rampenlicht tritt – in einer Zeit, in der alle permanent senden wollen.

Habecks Entscheidung ist radikal, weil sie gegen den Zeitgeist läuft. Während andere lauter werden, wird er leiser. Während andere mehr Präsenz fordern, reduziert er sie. "Ich will erst mal wieder empfangen und nicht gleich weiter senden", sagt er.

Diese Haltung ist nicht nur politisch interessant. Sie zeigt etwas über eine Kommunikationskultur, die das Zuhören vergessen hat.

Das Experiment mit der stillen Minute

Vor einer Weile saß ich mit mehreren Menschen am Tisch. Gespräche und Diskussionen waren intensiv und manchmal laut, bis jemand sagte: "Können wir alle mal eine Minute schweigen und überlegen, worum es hier eigentlich geht?"

Stille. Eine lange, unbequeme Minute.

Danach redeten wir alle anders. Langsamer. Überlegter. Das Gespräch veränderte sich komplett. Statt Positionen auszutauschen, begannen wir zu verstehen, worum es wirklich ging.

Eine Minute Schweigen hatte mehr bewirkt als eine Stunde Diskussion.

Warum wir das Zuhören verlernt haben

1. Der Reaktionszwang
Sobald jemand spricht, formulieren wir bereits die Antwort. Wir hören nicht zu – wir warten auf unseren Einsatz.

2. Die Lösungsobsession
Wir wollen helfen, beraten, korrigieren. Dabei wollen die meisten Menschen zunächst einfach gehört werden.

3. Die Stille-Angst
Pausen fühlen sich an wie Versagen. Dabei entstehen in der Stille oft die wichtigsten Erkenntnisse.

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Empfangen statt Senden

Habeck beschreibt sein nächstes Jahr als "Horizonterweiterung" und "Perspektivenwechsel". Er will "die Binnensicht aufbrechen". Das klingt nach klassischer Politikersprache, ist aber etwas anderes: eine bewusste Entscheidung für Offenheit.

Empfangen ist keine Passivität. Es ist eine aktive Haltung der Aufmerksamkeit. Wenn Habeck sagt, er wolle "erst mal wieder empfangen", dann meint er vermutlich: wahrnehmen, ohne sofort einordnen zu müssen. Verstehen, ohne gleich bewerten zu müssen. Aufnehmen, ohne direkt zu antworten.

Also genau das Gegenteil von dem, was wir jeden Abend in TV-Talkshows wie Lanz erleben.

Diese Haltung hat eine unterschätzte Kraft.

Drei Gespräche, drei verschiedene Welten

1: Das Lösungsgespräch
"Ich bin unzufrieden im Job."
"Dann wechsle doch."
"So einfach ist das nicht."
"Warum machst du nicht erstmal eine Weiterbildung?"
"Aber..."

Ende: Frustration auf beiden Seiten.

2: Das Fragegespräch
"Ich bin unzufrieden im Job."
"Was genau macht dich unzufrieden?"
"Die Meetings. Ständig sitze ich in Terminen, die zu nichts führen."
"Wie fühlst du dich währenddessen?"
"Wie Zeitverschwendung. Als würde ich nicht ernst genommen."

Ergebnis: Das eigentliche Thema wird sichtbar.

3: Das empfangende Gespräch

"Ich bin unzufrieden im Job."
[Pause]
"Erzähl mal."
[Längere Pause]
"Eigentlich mag ich die Arbeit. Aber ich fühle mich unsichtbar. Als würden meine Ideen nicht zählen."

Ergebnis: Die Person findet ihre eigene Antwort.

Was passiert, wenn wir wirklich zuhören

Echtes Zuhören verändert beide Seiten des Gesprächs. Die Sprechende Person fühlt sich gehört, gesehen und verstanden. Dabei entwickelt sie oft selbst Lösungen. Die zuhörende Person erfährt, was wirklich los ist.

Habecks Beobachtung über die politische Kommunikation trifft den privaten und beruflichen Bereich: Wir sind zu Sendern geworden, die aneinander vorbeireden. Kulturkampf statt Verstehen. Positionen statt Begegnung.

Drei konkrete Techniken für echte Gespräche

Die 5-Sekunden-Regel
Wenn jemand aufhört zu sprechen, zähle innerlich bis fünf, bevor du antwortest. Oft kommt noch etwas Wichtiges nach.

Die Spiegelfrage
Statt direkt zu antworten: "Wenn ich dich richtig verstehe, geht es dir vor allem um...?" Und dann nochmal zuhören.

Der empfangende Satz
"Erzähl mir mehr davon." Dieser Satz öffnet Räume, die "Ja, aber..." schließt.

Empfangen als Zukunftskompetenz

In einer Zeit, in der KI immer besser wird im Antworten und Lösen, wird das Zuhören zur menschlichen Superkraft. Maschinen können Daten verarbeiten – aber sie können nicht empfangen, was zwischen den Zeilen steht.

Habecks Jahr im Ausland ist ein Experiment in Empfänglichkeit. Ob es ihm politisch nutzt, werden wir sehen. Als Signal für eine andere Art der Kommunikation ist es bemerkenswert.

Der Raum zwischen den Worten

Die wertvollsten Gespräche entstehen nicht durch kluge Antworten, sondern durch die Qualität der Stille zwischen den Sätzen. In dieser Stille kann sich zeigen, was wirklich wichtig ist.

Habecks Rückzug ist radikal, weil er Zeit und Raum schafft für das, was sich nur im Empfangen zeigt. Vielleicht brauchen wir alle mehr solche Räume – im Kleinen, im Alltag, in unseren Gesprächen.

Was passiert, wenn wir aufhören zu senden und anfangen zu empfangen? Finden wir es heraus.

Ein Vorschlag

Das nächste Mal, wenn dir jemand ein Problem erzählt, probiere das aus: Höre zu, ohne zu antworten. Stelle eine echte Frage. Dann schweige. Lass die Antwort kommen.

Du wirst überrascht sein, was sich zeigt, wenn Gespräche Raum haben.

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Über den Autor

Oliver ist Mitgründer von ZukunftsPfad® und BLACK SESAME Kitchen. Wir begleiten Menschen dabei, ihre Zukunft bewusst zu gestalten – unter anderem durch die oft unterschätzte Kraft des echten Zuhörens.


Oliver Klemm
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